Sunday, May 20, 2012

Process: Tischlein, Deck Dich für Alle: Page 3


 

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Willig gehorchte ich ihren Worten, stieg ein und die Luftfahrt begann. Wie getragen von des Adlers mächtigen Schwingen hoben wir uns in die Höhe, immer tiefer unter uns blieb die Erde, immer reiner und rosiger wurde die Luft, über Läuder und Meere ging die schnelle und doch wohlig ruhige Fahrt.
Nun senkte sich unser Fahrzeug allmählich wieder und hielt die Richtung auf festes Land.
Te näher wir diesem kamen, desto mehr staunte ich über dessen nie gesehene Pracht.
Wie ein Paradies erschien es mir, in dem nicht Menschen, sondern Götter wohnen.
Das Panorama, das sich mir aus der Höhe bot, fesselte meine Augen über all Maßen.
Wiesen von saftigstem Grün, lachende Triften, ausgedehnte Felder mit goldleuchtenden Aehren, Laubwald, der märchenhaft rauschte im Wehen einer leichten Brise, Nadelwald, aus dem sanfter Harzgeruch himmelan strebte, die Bäume so sorgsam gepflegt und so regelmäßig gepflanzt, als waren die Maße dazu mit dem Zirkel genommen worden, dann wieder Wiese und Trift, dann weiter Obst-und-Gemüsegârten, alles durchzogen von silbernen Streifen, den Straßen des zur Bewässerung nötigen Wassers.
Mitten drinn erhoben sich große, palastartige Bauten mit zahlreichen Nebengebäuden in einer Bauart, wie ich sie auf Erden nie gesehen hatte, weder an Pracht noch an Ausdehnung, und mitten drin in diesem Paradiesesland flog unser Aerostat sanft zu Boden und blieb stehen.
Die Stimme meiner gottgleichen Führerin ertönte:
Hier magst Du bleiben!
Du wirst hier Wesen finden, die gut zu Dir sein und Dir alle Seine vernünftigen Wünsche erfüllen werden.
“Ich aber muß wieder hinweg, um weitere der schwerbeladenen Menschenkinder hierherzubringen in unser Paradies.”
Der Aerostat hob sich majestätisch in die Höhe und ich war allein in dem herrlichen Lande.
Der Weg, den ich nunmehr entlang wandelte, war sichtlich mit peinlicher Sorgfalt gepflegt und beiderseits von prächtigen Bäumen mit weit ausladenden, reichen Schatten spendenden Kronen umsäumt.
Er führte zu einem sanft ansteigenden Hügel, auf dessen Höhe die Straße sich teilte.
Im Kreuzungspuntkte war ein Häuschen aus Baumästen errichtet, einem Gartenhäuschen ähnlich, aber nicht wie plumpes Menschenwerk, sondern troß des unscheinbaren Baumaterials mit fein künstlerischem Verständnis erbaut.
Rings um die Wände zogen sich Weinreben hin, von denen prachtvolle Früchte einladend herabhingen und Ruhebänke luden zur Rast.
Ich ließ mich nieder und weidete mich an dem herrlichen Rundblick.
Da bemerkte ich einen Mann auf mich zukommen, einen stattlichen jungen Menschen, dessen Gewandung leicht den Körper umfloß und die kräftige Muskulatur sehen ließ.
Er bot mir die Hand zum Gruße und sprach mich an:
“Ich sah einen unserer Aerostaten niedergehen und komme hierher, Dich als neuen Ankömmling in unserer Gemeinde zu begrüßen, Dich bei uns einzuführen.
Wer Du auch seidt, woher Du auch kommst, sei willkommen!”

 

Angerbauer, Joseph. Tischlein, Deck Dich Für Alle! Eine Betrachtung. West Norwood: Selbstverlag, 1908.

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