Thursday, June 14, 2012

Process: Tischlein, Deck Dich für Alle: Page 22


 

Seite 22

Wer noch an die Menschheit glaubt, der wird sich sagen müssen, daß der Menschengeist nur nach dieser Richtung hin sich betätigen kann, und da wir alle an die Menschheit glauben, so dürfen wir die schöne Zuversicht (seite 22) hegen, daß der Geist nicht ruhen wird, bis unserer Gesellschaft zu dem paradiesischen Gemeinwesen umgestaltet sein wird, von dem ich träumte und immer noch träume, bis das märchenhafte „Tischlein deck dich für alle!“ zur Wahrheit geworden sein wird.

Ein wenig Arbeitesstatistik.

Sind mir meine Leser schon so lange geduldig gefolgt, so werden sie mir wohl auch noch zu den wenigen noch folgenden Kapiteln zuhören, zunächst diesem.
Wenn sie etwa Schrecken ergreifen sollte vor den nun zu erwartenden Zahlenreihen, so seien sie nur gleich vorweg beruhigt, ich werde nicht mit Zahlen kommen, sondern will in diesem Kapitel nur auf einige Arbeit hinweisen, deren Unproduktivität allen bekannt ist, jedoch nicht allen klar zum Bewußtsein kommt weil nicht alle darüber nachzudenken Zeit haben.
Da ich kein Gelehrter bin, sondern nur ein einfacher Arbeiter, so weiß ich nicht, ob ich den Dingen und Begriffen immer richtig jene Namen gebe, die in der Gelehrtenwelt gebräuchlich und anerkannt sind.
Die Hauptsache bleibt, daß diejenigen mich verstehen, zu denen ich hiermit spreche, und für diese bemühe ich mich, so deutlich als möglich zu sein.
Deshalb erkläre ich kurz den Begriff der Unproduktivität, wie ich ihn im Nachstehenden gebrauche, indem ich sage, unter unproduktiver Arbeit verstehe ich jene, die entweder gar nichts einbringt oder deren ertrag in keinem Verhältnisse stecht zur Leistung.
Nach diesem Maßstabe gemessen ist die unproduktivste aller in unserer Gesellschaftsordnung bestehenden Tätigkeiten die des Militärs, weil sie nicht nur für das Allgemeine nichts abwirft, sondern sogar noch Millionen und Millionen kostet.
Millionen junger kräftiger Leute werden der produktiven Arbeit entzogen, um wie es so schön heißt, „dem Könige und dem Vaterlande“ zu dienen.
Sieht man aber etwas genauer hin, so erhält man einen anderen Vers.
Dem Könige dienen? Zugegeben.
Dem Vaterland?
Ganz und gar nicht.
Nicht dem Vaterlande dient der Soldat, sondern den Herrschenden, den Mächtigen, den Besitzenden, deren ganz unbegründete Vorrechte er zu schützen und zu schirmen hat.
Für solche durch gar nichts begründete, sondern nur widersinnige, eingebildete Rechte wird dem Soldaten rechtlos die Pflicht aufgebürdet, die Mordwaffen zu gebrauchen nicht nur gegen die Brüder vom Standpunkte des allgemeinen Menschentums, sondern sogar gegen die leiblichen Brüder, gegen Vater und Mutter selbst, wenn der Herrscher es befiehlt.
Eine zweite unproduktive Arbeit ist die Betätigung in dem jetzt üblichen Handelsbetriebe und dem damit zusammenhängenden Kanzleiwesen.
Ganze Armeen von Personen sind dabei beschäftigt, nur wenige, und das gerade die, die die wenigste und leichteste Arbeit leisten, erhalten mehr als auskömmliche Gehälter, während diejenigen, die die Hauptarbeit verrichten, kaum das zum Leben Notwendige bekommen.
Besieht man sich die Arbeit selbst etwas genauer, so merkt man bald, daß da die Waren (seite 23) nur hin und her gefahren werden, von einem Geschäft zum anderen, vom Erzeuger zum Großhändler, vom Großhändler zum Kleinhändler und in lieblicher Abwechslung so weiter, und bis sie den Konsumenten erreicht hat, ist sie im Preise um das Doppelte und Dreisache von dem gestiegen, was sie beim Erzeuger selbst gekostet hat.

 

Angerbauer, Joseph. Tischlein, Deck Dich Für Alle! Eine Betrachtung. West Norwood: Selbstverlag, 1908.

No comments:

Post a Comment